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Chronik: Nigeria

FWA 2000, Sp. 54

Nach dem Tod des Diktators Sani Abacha im Juni 1998 steht das heruntergewirtschaftete Land vor einem Neuanfang. Die Freilassung politischer Gefangener und die Aufhebung repressiver Dekrete durch die �bergangsregierung von Pr�sident Abdulsalam Abubakar sind erste Schritte auf dem Weg zur Demokratisierung des Landes.

Wahlen, neue Zivilregierung

Bei den Kommunalwahlen am 5.12. 1998 und den Regionalwahlen am 9.1. 1999 geht die Demokratische Volkspartei (PDP) des ehemaligen Milit�rmachthabers Olusegun Obasanjo, der 1979 die Macht an eine zivile Regierung �bergab, als Siegerin hervor. An zweiter Stelle plaziert sich die Allgemeine Volkspartei (All People's Party / APP), der sich viele ehemalige Minister Abachas angeschlossen haben. Die Allianz f�r Demokratie (AD), die haupts�chlich aus Angeh�rigen des Yoruba-Volkes besteht, wird drittst�rkste Partei und kann sich damit wie die PDP und die APP automatisch f�r die kommenden Parlamentswahlen qualifizieren.

Bei den Parlamentswahlen am 20.2. 1999 gewinnt die PDP mit 208 von 360 Sitzen die absolute Mehrheit im Repr�sentantenhaus, auf die APP entfallen 69 Sitze und auf die AD 76. In den Senat entsendet jeder der 36 Bundesstaaten drei, die Hauptstadt einen Senator; auch hier erh�lt die PDP die meisten Sitze.

Bei den Pr�sidentschaftswahlen am 27.2. 1999 (Wahlbeteiligung 46 %) erh�lt der Kandidat der PDP, Olusegun Obasanjo, �ber 62 % der Stimmen. Der Versuch der APP und der AD, Samuel Oluyemisi Falae als gemeinsamen Kandidaten aufzustellen, wird vom Wahlausschu� abgelehnt, da einem Dekret der Milit�rregierung zufolge jeder Kandidat eindeutig einer Partei zuzuordnen sein mu�. Der Pr�sidentschaftskandidat der AD, Ogbonnaya Onu, gilt dennoch als Z�hlkandidat. Falae, ehemaliger Finanzminister einer Milit�rregierung und wie sein Gegner unter Abacha inhaftiert und erst von Abubakar freigelassen, erreicht mit Unterst�tzung der APP und AD �ber 37 % der Stimmen; nach Bekanntwerden des Ergebnisses spricht er von Wahlbetrug. Die internationale Beobachtergruppe unter Leitung des ehemaligen US-Pr�sidenten Jimmy Carter vertritt die Ansicht, da� die Unregelm��igkeiten, die allen Parteien zur Last gelegt werden bzw. zugute kommen, nur bei ann�hernd gleicher Stimmenzahl h�tten �berpr�ft werden m�ssen. Kurz nach der Wahl werden in der Millionenstadt Lagos bei Zusammenst��en zwischen Polizei und Jugendlichen 14 Menschen get�tet.

Nachdem am 5.5. eine neue Verfassung verabschiedet wurde, wird Obasanjo am 29.5. 1999 als Pr�sident vereidigt. Gleichzeitig findet die Vereidigung ziviler Gouverneure in den 36 Bundesstaaten statt. Am selben Tag wird die 1995 vom Commonwealth verf�gte Suspendierung der Mitgliedschaft Nigerias aufgehoben. Der neue Pr�sident will die politische Liberalisierung fortsetzen und das Vertrauen der Bev�lkerung in die Regierung wiederherstellen und sagt der in Nigeria grassierenden Korruption den Kampf an. Am 10.6. entl��t Obasanjo weitere 33 hohe Milit�rs - seit seiner Amts�bernahme insgesamt 60 Gener�le und Offiziere -, darunter die Chefs des Generalstabs, der Luftwaffe, der Marine und der Bodentruppen und l��t deren illegal erworbenes Verm�gen (umgerechnet etwa 1,3 Mrd. DM) beschlagnahmen. In der am 30.6. vereidigten neuen Regierung, der ersten Zivilregierung nach 15 Jahren Milit�rherrschaft, ist Sule Lamido Au�enminister.

Wirtschaft

Die Europ�ische Union (EU) hebt am 1.11. 1998 die Sanktionen auf, die nach der Ermordung von Menschenrechtsaktivisten des Ogoni-Volkes 1995 verh�ngt worden waren; ein Waffenembargo bleibt bestehen.

Mitte Dezember erh�ht die Milit�rregierung den Benzinpreis um 100 % und erf�llt damit die Forderung von Investoren nach Abbau der Subventionen. Durch die bei der Bev�lkerung unpopul�re Ma�nahme erhofft sich die Regierung eine Verringerung des Treibstoffschmuggels.

Bei der Vorstellung des Staatshaushalts Mitte Januar 1999 wird das Defizit durch den gesunkenen �lpreis auf 400 Mio. US- $ gesch�tzt; das entspricht etwa 1 % des Bruttosozialprodukts. 1999 wird lediglich ein Wirtschaftswachstum von 0,5 % erwartet (1998 noch 9,5); die Auslandsschulden belaufen sich auf umgerechnet 28 Mrd. DM.

Am 2.3. wird ein Nationalrat f�r die Privatisierung eingerichtet; Aufgabe des neuen Pr�sidenten Obasanjo wird es sein, die von seinem Vorg�nger eingeleitete Privatisierung der Fernmeldebeh�rde und des staatlichen �lkonzerns �ber die B�hne zu bringen. Au�erdem steht die Entscheidung an, ausl�ndischen Unternehmen zu erlauben, die vor der K�ste entdeckten �lvorkommen auszubeuten.

Der Verband Nigerianischer Unternehmer teilt Anfang Mai mit, die Wirtschaft stehe wegen fehlender Infrastruktur und mangelnder Nachfrage kurz vor dem Zusammenbruch.

Unruhen und ethnische Konflikte

Bei einer Erd�lkatastrophe am 18.10. 1998 in der N�he der Hafenstadt Warri kommen 700 Menschen ums Leben, als sie versuchen, �l aufzufangen, das seit drei Tagen aus einer Pipeline str�mt und sich pl�tzlich entz�ndet. Die staatliche Erd�lfirma macht Sabotage f�r das Leck verantwortlich, Umweltsch�tzer sprechen dagegen von einem �blichen Defekt durch die Nachl�ssigkeit der Betreiber.

Bereits seit Anfang Oktober 1998 kam es zu Protesten der Bev�lkerung im Niger-Delta gegen die Erd�lindustrie. Sie sieht sich durch die mit der �lf�rderung verbundene Umweltverschmutzung ihrer Lebensgrundlage beraubt und verlangt deshalb eine angemessene Beteiligung. Obwohl 90 % der Exporterl�se im Niger-Delta erwirtschaftet werden, gibt es in der Region weder ausreichende Bildungseinrichtungen noch medizinische Versorgung. Nach der Katastrophe eskalieren die seit Jahren bestehenden Spannungen: Angeh�rige der Ijaw besetzen F�rderanlagen und Pumpstationen und drohen, die �lf�rderung zum Erliegen zu bringen. Konflikte gibt es auch zwischen den Angeh�rigen der verschiedenen, im Niger-Delta lebenden Ethnien. Die Regierung verst�rkt die Milit�rpr�senz in der Region, um die ethnischen Gruppen auseinanderzuhalten und die F�rderanlagen zu bewachen. Am 30.12. wird der Ausnahmezustand verh�ngt. Laut nigerianischen Presseberichten gibt es bei den Zusammenst��en 26 Tote.

Am 29.5. 1999, dem Tag der Amts�bergabe an Obasanjo, kommt es erneut zu schweren Unruhen im Niger-Delta. Bis zum 8.6. kommen mehr als 200 Menschen ums Leben. Vertreter der Ijaw verlangen eine Beteiligung von 50 % an den �leinnahmen, die neue Verfassung sieht lediglich 13 % f�r die �lproduzierenden Regionen vor. Zur Eind�mmung der ethnischen Unruhen erh�lt das Milit�r den Befehl, eine Ausgangssperre durchzusetzen; �lkonzerne evakuieren ihre Mitarbeiter aus dem Gebiet. Am 26.7. lassen Jugendliche vom Volk der Isoko 64 Mitarbeiter der �lgeselschaft Shell frei; die Isoko fordern seit Ende 1998 von Shell umgerechnet rd. 915.000 DM f�r den Bau von Schulen, Stra�en und Krankenh�usern.

Auseinandersetzungen zwischen Hausa und Yoruba

W�hrend des Staatsbesuchs des franz�sischen Pr�sidenten Jacques Chirac kommt es am 23.7. zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen Angeh�rigen der muslimischen Haussa-Fulani und der christlich-animistischen Yoruba in der nordnigerianischen Stadt Kano. Ausgel�st wurden die Unruhen durch den Tod einer Haussa-Frau in der Stadt Shagamu, nahe Lagos, die verbotenerweise eine traditionelle Yoruba-Zeremonie beobachtet haben soll. Am 17. / 18.7. griffen Haussa die Siedlungen von Yoruba an, um den Mord zu r�chen. Bei den Unruhen sterben 70 Menschen. Am 27.7. nimmt die Polizei 150 Personen fest. Tausende Yoruba fliehen aus dem von Haussa dominierten Norden des Landes.

Freilassung politischer Gefangener und Menschenrechte

Im September 1998 werden 20 Mitglieder der Bewegung f�r das �berleben des Ogoni-Volkes (MOSOP), der Organisation des 1995 ermordeten Schriftstellers Ken Saro-Wiwa, aus der Haft entlassen; die Anklage wegen Hochverrats gegen den im Exil lebenden Literatur-Nobelpreistr�ger Wole Soyinka und 14 weitere Kritiker des Regimes Abacha werden fallengelassen.

Am 4.3. 1999 erfolgt die Begnadigung aller Milit�r- und Zivilpersonen, denen eine Beteiligung an Putschversuchen 1995 und 1997 vorgeworfen wird. Prominentester Gefangener ist der 1997 inhaftierte General Donaldson Oladipo Diya, der ehemalige Stellvertreter Abachas.

Pr�sident Obasanjo setzt am 6.6. eine Kommission zur Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen ein; sie soll u.a. Ermittlungen gegen die f�r die Hinrichtung zahlreicher Oppositioneller Verantwortlichen einleiten.

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Aktuelle Informationen zu diesem und allen �brigen Themen des ARCHIVS finden Sie im Fischer Weltalmanach 2001 und im Digitalen Fischer Weltalmanach 2001.