FWA 2000, Sp. 54
Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit
Mit dem Votum der Regierungsparteien und von Teilen der oppositionellen Bauernpartei �berstimmt der Sejm mit der erforderlichen ⅗-Mehrheit am 18.12. 1998 das Veto des Pr�sidenten Aleksander Kwasniewski gegen das �Gesetz �ber das Institut des nationalen Gedenkens�. Mit dem Gesetz sollen die Akten aller staatlichen Beh�rden, auch der Geheimdienste, aus der Zeit zwischen 1944 und 1989 zug�nglich gemacht werden. Das neu einzurichtende Institut erm�glicht den B�rgern, Einblick in die �ber sie gef�hrten geheimen Dossiers zu nehmen, und stellt das Material der Justiz und der Forschung zur Verf�gung. Das Gesetz erg�nzt das �Durchleuchtungsgesetz� von 1997, durch das verhindert werden soll, da� ehem. Mitarbeiter und Informanten der Sicherheitsdienste in h�here Staats�mter gelangen; eine versch�rfende Novellierung dieses Regelwerks tritt am 1.1. 1999 in Kraft. Anfang Mai wird Ministerpr�sident Jerzy Buzek mit Verd�chtigungen konfrontiert, er sei als f�hrendes Mitglied der Gewerkschaft Solidarnosc in den 80iger Jahren Informant der Geheimpolizei gewesen. Auch nachdem er am 5.5. vom Verantwortlichen f�r die Durchleuchtung von Politikern und Spitzenbeamten, Nierzieski, entlastet wird, werden Ende Mai neue Anschuldigungen gegen Buzek laut. Am 30.8. tritt der stellv. Verteidigungsminister Mroziewicz wegen seiner ungekl�rten Beziehungen zum Geheimdienst in der kommunistischen �ra zur�ck; am 2.9. entl��t Regierungschef Buzek seinen Stellvertreter, Innenminister Janusz Tomaszewski, und zwar wegen m�glicher Kontakte zum Geheimdienst.
Parteigr�ndung
Der erste Kongre� der neugegr�ndeten Partei Christdemokratie der Dritten Polnischen Republik (ChDRP) w�hlt am 18.9. 1998 in Warschau den ehemaligen Staatspr�sidenten Lech Walesa zum Parteivorsitzenden. Die national-konservative Partei hat eigenen Angaben zufolge 5000 Mitglieder.
Neue Regionalverwaltung
Am 1.1. 1999 tritt die im Sommer 1998 beschlossene politische und administrative Neugliederung Polens in Kraft, die dem bisherigen Zentralstaat eine st�rke f�derative Struktur gibt. An die Stelle der bisherigen 49 Woiwodschaften (Regierungsbezirke) treten 16 neue, die mit Regionalparlamenten ausgestattet sind und �ber eigene Kompetenzen u.a. in den Bereichen der Sozial-, Gesundheits-, Bildungs- und Raumplanungspolitik verf�gen. 308 Kreise werden eingerichtet, 65 St�dte erhalten kreisfreien Status. Bei den am 11.10. 1998 abgehaltenen Wahlen zu den neuen Regionalparlamenten werden die regierende konservative Wahlaktion Solidarnosc (AWS) mit 33,3% der Stimmen und das oppositionelle B�ndnis der Demokratischen Linken (SLD) mit 31,8% als die landesweit st�rksten politischen Kr�fte best�tigt. Das SLD kann in neun der 16 Woiwodschaften die Mehrheit erringen, w�hrend der AWS lediglich in 7 Bezirken st�rkste Kraft wird.
Reformschwierigkeiten
Die am 1.1. 1999 in Kraft tretende Gesundheitsreform bricht mit dem bisherigen Prinzip der kostenlosen staatlichen Gesundheitsversorgung; die Kosten sollen in der Hauptsache nun von neu einzurichtenden regionalen Krankenkassen getragen werden, die sich aus den Pflichtbeitr�gen (7,5% des Bruttoeinkommens) der Versicherten finanzieren. Wegen der finanziellen Belastungen f�r gro�e Teile der Bev�lkerung und administrativer M�ngel treffen die Reformen teilweise auf heftigen Widerstand. Im Januar und Anfang Februar protestieren die �rzte gegen Einkommenseinbu�en als Folge der Gesundheitsreform und legen den Betrieb der Krankenh�user weitgehend lahm. Am 9.7. demonstrieren 30000 Krankenschwestern und Hebammen in Warschau.
Im Januar und Februar 1999 protestieren mehrere zehntausend Bauern in gro�en Teilen des Landes mit Blockaden von Grenz�berg�ngen und Verkehrsknotenpunkten gegen die sich dramatisch verschlechternde Ertragslage. Sie verlangen Soforthilfen, Schutz vor Agrarimporten und h�here Subventionen. Am 8.2. schlie�t die Regierung mit drei Bauernverb�nden ein Abkommen, das den Forderungen der Bauern mit Kredit- und Entschuldungserleichterungen teilweise entgegenkommt, vom Vorsitzenden der radikaleren Bauerngewerkschaft Samoobrana (Selbstverteidigung), Andrzej Lepper, jedoch als unzureichend abgelehnt wird. Mitte M�rz finden erneut Protestaktionen der Bauern statt, v.a. um von der Regierung die Umsetzung der vor einem Monat gegebenen Zusagen einzufordern; am 19. / 20.8. kommt es zu Stra�enschlachten zwischen Bauern und der Polizei.
Infolge der Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Reformen und aufgrund des Popularit�tsverlustes der Regierung bildet Ministerpr�sident Buzek am 25.3. sein Kabinett um und entl��t acht Minister seiner Mitte-Rechts-Regierung. Dabei werden nur vier Ressorts - Landwirtschaft, Transport, Gesundheit, Kultur - neu besetzt; die Posten von vier Ministern ohne Gesch�ftsbereich werden ersatzlos gestrichen.
Am 22.7. legt die Regierung einen in Verhandlungen mit den Bauernverb�nden erarbeiteten �Pakt f�r die Landwirtschaft und die l�ndlichen Gebiete� vor, die in den n�chsten Jahren gezielt gef�rdert werden sollen. Ministerpr�sident Buzek erkl�rt die Agrarpolitik zu einem der Schwerpunkte der Regierungspolitik in der zweiten H�lfte der Legislaturperiode.
Gedenkst�tten
Mit der Verabschiedung des Gesetzes �Schutz der Gebiete um die ehemaligen hitleristischen Konzentrationslager� beendet der Sejm am 4.5. 1999 die Auseinandersetzung um die Gedenkst�tte des ehemaligen Vernichtungslagers Auschwitz. Danach wird die n�here Umgebung (100 Meter) von ehemaligen Konzentrations- und Vernichtungslagern wie Auschwitz-Birkenau, Majdanek, Stutthof, Gro�-Rosen, Treblinka, Chelmno, Sobibor und Belzec zu Schutzzonen mit besonderen Einschr�nkungen f�r Versammlungen, Bebauungen und kommerzielle Nutzungen erkl�rt. Aufgrund des Gesetzes, das Pr�sident Kwasniewski am 10.5. unterzeichnet, werden am 28.5. - bis auf ein 1979 errichtetes �Papstkreuz� - auch rd. 300 Holzkreuze entfernt, die von Katholiken im Gedenken an ermordete Christen errichtet wurden und die Anla� zu Protesten von j�dischen Organsationen gaben.
NATO-Beitritt
Am 5.9. 1998 unterzeichnen die Verteidigungsminister Polens, D�nemarks und Deutschlands in Szczecin (Stettin) eine Vereinbarung �ber die Bildung eines gemeinsamen Korps Nordost (MNC-North East) mit Sitz in Szczecin, dessen Stab Offiziere aus den drei Staaten angeh�ren sollen.
Der Sejm billigt am 17.2. 1999 mit 409 gegen 7 Stimmen den Beitritt zur NATO, am 26.2. unterzeichnet Pr�sident Kwasniewski die Ratifizierungsurkunde; Au�enminister Geremek vollzieht den Beitritt durch Hinterlegung der Urkunde am 12.3. in Independence im US-Bundesstaat Missouri, wo 1949 das Nordatlantische B�ndnis von zw�lf Staaten gegr�ndet wurde.
Papstbesuch
W�hrend seines ausgedehnten Pilgerbesuchs in Polen vom 5.-17.6. 1999 - seiner siebten Polen- und 87. Auslandsreise w�hrend seines zwanzigj�hrigen Pontifikats - liest Papst Johannes Paul II. Messen in 20 St�dten vor mehreren Millionen Menschen. In der ersten Rede eines Papstes vor einem nationalen Parlament w�rdigt er am 12.6. vor Mitgliedern des Sejm und des Senats die Leistungen Polens auf dem Weg zu Demokratie und Toleranz. Am 13.6. spricht er 108 Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung als �M�rtyrer des Zweiten Weltkriegs� selig.
Ehemalige Zwangsarbeiter, Holocaust-�berlebende
Ende Juni wird bei einem New Yorker Gericht die Sammelklage gegen die Republik Polen, das Warschauer Schatzministerium und weitere, namentliche nicht genannte Personen sowie private und �ffentliche Institutionen eingereicht. Wie am 3.8. in Warschau bekannt wird, fordern die �berlebenden des Holocaust bzw. deren Erben die Herausgabe des nach dem Zweiten Weltkrieg von polnischen Beh�rden widerrechtlich enteigneten oder von polnischen Privatpersonen illegal in Besitz genommenen Eigentums sowie Entsch�digungszahlungen f�r entgangene Nutzung.
Pl�ne deutscher Konzerne, sich bei der Entsch�digung der ehemaligen Zwangsarbeiter an den Durchschnittsrenten im jeweligen Heimatland der Empf�nger zu orientieren, werden vom fr�heren polnischen Au�enminister Wladyslaw Bartoszewski Ende April 1999 entschieden zur�ckgewiesen. Aus einer im April von der Stiftung f�r deutsch-polnische Auss�hnung verschickten Untersuchung �ber polnische Zwangsarbeiter geht hervor, da� im Zweiten Weltkrieg 2826000 Polen zur Zwangsarbeit ins Deutsche Reich deportiert wurden und insgesamt 150000 deutsche Arbeitgeber ihre Arbeitskraft nutzten. Etwa 19 Mrd. Arbeitsstunden seien zwangsweise geleistet worden; damit habe die deutsche Wirtschaft 10 Mrd. Reichsmark gewonnen, da sie deren L�hne einbehielt.
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