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Sonderbeitrag: Kurden in der T�rkei

FWA 2000, Sp. 54

Die Kurden sind ein nichtarabisches, vermutlich indogermanisches Bergvolk in Vorderasien mit einer zur nord- oder s�dwestlichen Gruppe der iranischen Sprachfamilie z�hlenden Sprache - Kurdisch mit einer Reihe verschiedener Dialekte - und einer vorwiegend sunnitisch-islamischen Religion. Die heute auf 22-25 Mio. gesch�tzten Kurden leben - gr��tenteils als Ackerbauern - in einem seit Jahrhunderten geographisch zusammenh�ngenden Siedlungsgebiet in der Gebirgslandschaft zwischen dem �stlichen Taurus, der Zagros-Kette und dem Gro�en Kaukasus - aufgeteilt auf Territorien der T�rkei (dort leben ca. 50 % der Kurden), des Iran (ca. 25 %) und des Irak (ca. 20 %) sowie zu kleineren Teilen Syriens (3-4 %) und Armeniens (1-2 %). Sie werden zwar - au�er in der T�rkei - als nationale Minderheit anerkannt, sind aber weitgehend rechtlos und stehen unter starkem Assimilationsdruck.

Geschichte: Der Zusammenhalt der Kurden beruht auf der Tatsache, da� die kurdischen St�mme seit �ltesten Zeiten von den gleichnamigen Familien gef�hrt werden. Der Stamm der Barsani wird um 750 n.Chr. erstmalig in Dokumenten erw�hnt. Kurden verdingten sich h�ufig als Legion�re und stiegen zu Heerf�hrern auf: Sultan Saladin, der 1187 bei Jerusalem ein 60000 Mann starkes europ�isches Heer besiegte und die Heilige Stadt f�r den Islam zur�ckeroberte, vereinigte im Kampf gegen die Kreuzfahrer fast alle kurdischen St�mme unter seiner Oberhoheit und f�hrte die kurdische Macht auf ihren H�hepunkt. Nachdem die Osmanen (T�rken) 1514-1536 Armenien und Kurdistan in den K�mpfen mit Persien erobert hatten, �bertrugen sie die Verwaltung dieser Gebiete dem Kurden Mullah Idris, der durch Integrierung arabischer Familien in die kurdischen St�mme deren Bekehrung zur Sunna veranla�te. Die Kurden durften in Ostanatolien kleine unabh�ngige F�rstent�mer bilden. Als deren Macht zu gro� wurde, begannen die osmanischen Herrscher 1834 mit ihrer Liquidierung. Die Kurden reagierten mit Aufst�nden, deren Folgen bis heute nachwirken. Nach dem Zusammenbruch des Osmanischen Reichs 1918 versprach der Vertrag von S�vres von 1920 den Kurden zun�chst kulturelle und politische Selbstverwaltung �f�r die Gebiete, in denen das kurdische Element vorherrscht�; Kurdistan wurde als Territorium zwischen dem s�dlichen Armenien und dem n�rdlichen Irak (= Ostanatolien) definiert. Doch bevor sich die mehr als 100 kurdischen St�mme auf eine gemeinsame Interessenvertretung einigen konnten, gewann die t�rkische Nationalbewegung den Befreiungskrieg; der Vertrag von S�vres wurde nicht ratifiziert und im Vertrag von Lausanne 1923 war von �Kurden� nicht mehr die Rede: Die anatolischen Teile Kurdistans blieben bei der T�rkei, w�hrend die erd�lreichen Kurdengebiete um Kirkuk und Mosul 1925 durch V�lkerbund-Beschlu� dem britischen Mandatsgebiet Irak zugesprochen wurden - mit der Auflage, den �nationalen Minderheiten� Schutzrechte einzur�umen.

Autonomieforderungen haben die Kurden immer wieder auch mit Gewalt durchzusetzen versucht: Kurdenaufst�nde in der T�rkei 1925, 1930 und 1937; Revolten im Irak 1919, in den 20er und 30er Jahren sowie 1945 / 46; Autonomieforderungen im Iran seit 1979. Abgesehen von der Gew�hrung eines Autonomen Gebiets in der Sowjetunion 1930 und von der kurzlebigen Kurdenrepublik von Mahabad im sowjetisch besetzten Iran 1945 / 46 blieben diese Bem�hungen erfolglos. Erschwert werden die Bestrebungen um ethnische und kulturelle Autonomie auch dadurch, da� die kurdische Gesellschaft in zahlreiche rivalisierende und sich gelegentlich bek�mpfende St�mme zerf�llt und Machtverh�ltnisse und Autorit�t personengebunden sind. Und einen eigenen Kurdenstaat wird es in absehbarer Zeit erst recht nicht geben; denn weder die T�rkei noch der Irak, der Iran oder Syrien d�rften bereit sein, Teile ihres Staatsgebiets abzutreten.

In der T�rkei nahm der 1923 an die Macht gekommene Mustapha Kemal Pascha (der Beiname �Atat�rk� [= Vater der T�rken] wurde ihm erst 1934 verliehen) der kurdischen Minderheit ihre nationale Identit�t; er verbot ihre Sprache und erkl�rte sie zu �Bergt�rken�. Begr�ndung: T�rken und Kurden bildeten �eine einzige Gesamtheit hinsichtlich der Rasse, des Glaubens und der Sitten�. Die Existenz der Kurden wurde von den Regierungen fortan geleugnet, kurdische Aufst�nde wurden blutig niedergeschlagen.

Der Kampf der PKK-Rebellen: Seit 1984 k�mpften Rebellen der verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) in den historischen kurdischen Siedlungsgebieten im Osten und S�dosten der T�rkei gewaltsam f�r einen unabh�ngigen sozialistischen Kurdenstaat. T�rkische Armee und Polizei gingen massiv gegen die Kurden vor. Am 31.12. 1996 begannen die t�rkischen Streitkr�fte auch Offensiven gegen PKK-St�tzpunkte im Nordirak, die in den n�chsten beiden Jahren fortgesetzt werden. Ab August 1997 verst�rkte die Armee im S�dosten der T�rkei die Bek�mpfung der inzwischen milit�risch geschw�chten und politisch gespaltenen PKK. Ihr F�hrer Abdullah �calan - genannt Apo (= Onkel) - erkl�rte im August und Dezember 1997 einseitig den Waffenstillstand, die t�rkischen Streitkr�fte wiesen dies jedoch ebenso zur�ck wie ein umfassendes Friedensangebot Anfang Februar (und wiederholt im April und August) 1998, in dem �calan auf die Forderung nach einem Kurdenstaat verzichtete, die endg�ltige Einstellung der Kampfhandlungen und Verhandlungen �ber eine regionale Selbstverwaltung im Rahmen einer F�deration anbot. Angesichts der drohenden milit�rischen Niederlage kam es zu Auseinandersetzungen innerhalb der PKK zwischen der kompromi�bereiten F�hrung und einer Gruppe von Feldkommandanten, die zu einer Politik der Terroranschl�ge �bergehen wollte. Deren Sprecher, Kommandeur Semdin Sakik, die langj�hrige �Nr. 2� der Organisation, floh Mitte M�rz 1998 zur Demokratischen Partei Kurdistans (DPK) im Nordirak, die gegen die PKK k�mpft. Mitte April 1998 wurde er in einer Kommandoaktion von t�rkischen Sicherheitskr�ften nahe der Stadt Dohuk aufgegriffen und in die T�rkei gebracht; am 20.5. 1999 wurde er zusammen mit seinem Bruder Arif wegen Hochverrats zum Tod verurteilt. - Nach weiteren Offensiven im M�rz und April 1998 auf t�rkischem Staatsgebiet, vor allem um Dyarbarkir und in der Provinz Sirnak, erkl�rt der t�rkische Generalstab die PKK f�r weitgehend zerschlagen. - Nach einer im September 1998 unter US-Vermittlung zustandegekommenen Vereinbarung zwischen den rivalisierenden Kurdenparteien im Nordirak - der durch den Irak unterst�tzten Demokratischen Partei Kurdistans (DPK) und der durch den Iran unterst�tzten Patriotischen Union Kurdistans (PUK) - verlor die PKK auch ihre dortigen R�ckzugsgebiete. - Am 20.10. 1998 unterzeichneten die T�rkei und Syrien in Ankara eine Vereinbarung, in der Damaskus zusagt, die finanzielle und logistische Unterst�tzung der PKK einzustellen und �calan keine Einreise mehr zu gew�hren. Zuvor hatte die T�rkei Syrien ultimativ mit einem Krieg gedroht. Die syrische Regierung hatte PKK-Ausbildungslager auf syrischem Territorium geduldet (sie wollte sich dadurch auch ein Druckmittel behalten, falls die T�rkei den Wasserflu� des Euphrat drosseln sollte). Am 13.8. 1999 wurde in Ankara ein Protokoll unterzeichnet, in dem sich die T�rkei und der Iran zur Zusammenarbeit bei der Bek�mpfung des Terrorismus im Grenzgebiet verpflichten. Beide Seiten wollen gegen die PKK im Iran und die Mudschahedin-e Chalq (Volksmudschahedin) in der T�rkei vorgehen. Die t�rkische Regierung hatte bef�rchtet, da� sich die PKK nach dem R�ckzug aus der T�rkei im Iran niederlassen k�nnte.

Bilanz: Nach einem Untersuchungsbericht des t�rkischen Parlaments vom Januar 1998 wurden seit 1984 in elf Provinzen insgesamt 3428 Siedlungen ger�umt oder zerst�rt; davon h�tten nur 148 D�rfer neu besiedelt werden d�rfen. Von 5330 Schulen seien 2202, von den 1218 staatlichen Polikliniken 830 geschlossen worden. In einem Bericht des Nationalen Sicherheitsrats von 1998 hei�t es, in den vergangenen 15 Jahren seien 40107 �Terroristen�, 5712 Soldaten und Polizisten sowie 5238 Zivilpersonen ums Leben gekommen. - Nach einem von der t�rkischen Regierung im M�rz 1999 ver�ffentlichten Plan zur Entwicklung der Kurdengebiete im Osten und S�dosten Anatoliens werden 1999 / 2000 umgerechnet 200 Mio. DM u.a. f�r die Verbesserung der Versorgung mit Wasser und Elektrizit�t, den Ausbau des Schul- und Gesundheitswesens sowie zur Schaffung neuer Arbeitspl�tze bereitgestellt.

Flucht, Ergreifung und Verurteilung �calans: Mitte November 1998 setzte sich der PKK-F�hrer �calan �ber Moskau nach Rom ab, wo er am 12.11. unter Hausarrest gestellt, am 16.12. jedoch auf freien Fu� gesetzt wird, da von Deutschland kein Auslieferungsgesuch gestellt wurde. Die von der T�rkei geforderte Auslieferung �calans lehnte die italienische Regierung mit der Begr�ndung ab, dort drohe ihm die Todesstrafe. Am 16.1. 1999 verl��t �calan Italien und reist �ber die Zwischenstationen Ru�land und Griechenland nach Nairobi (Kenia), wo er sich zun�chst in der griechischen Botschaft aufhielt. Am 16.2. wird er bei einer Fahrt durch Nairobi von einem t�rkischen Sonderkommando ergriffen und in die T�rkei gebracht. In zahlreichen europ�ischen Staaten kam es in den Tagen nach der Festnahme des PPK-F�hrers zu Kurdenprotesten. Die PKK erkl�rte am 15.3. die t�rkischen Urlaubsgebiete zur Krisenregion, nahm ihre Gewaltandrohung aber sp�ter zur�ck. - Der Proze� gegen �calan vor einem Staatssicherheitsgericht begann am 31.5. auf der Gef�ngnisinsel Imrali. Grundlage der Anklage ist der Paragraph 125 des t�rkischen Strafgesetzbuches, der f�r den Versuch einer Abspaltung vom Staatsgebiet die Todesstrafe vorsieht. Am 29.6. wurde �calan wegen �Verbrechen gegen das Land und die Souver�nit�t des Staates� zum Tode verurteilt. Das Urteil wird nun vom Kassationsgerichtshof als letzter juristischer Instanz �berpr�ft. Zudem m�ssen Parlament und Staatspr�sident einer Hinrichtung ausdr�cklich zustimmen. Eine Todesstrafe wurde in der T�rkei seit 1984 nicht mehr vollstreckt. Die Europ�ische Union (EU), der Europarat sowie zahlreiche europ�ische Regierungen appellierten an die T�rkei, �calan nicht hinzurichten.

R�ckzug der PKK aus der T�rkei: �calan forderte in einer am 3.8. 1999 von seinen Anw�lten in Istanbul verlesenen Erkl�rung die PKK auf, �den bewaffneten Kampf zu beenden und ihre Kr�fte zum 1.9. in Gebiete au�erhalb der t�rkischen Grenzen abzuziehen�. Am 5.8. bekr�ftigte der PKK-F�hrungsrat, der seit �calans Festnahme Mitte Februar die Organisation f�hrt, offiziell seinen Willen, dem Appell �calans nachzukommen; dem schlo� sich am 6.8. auch die Milit�rorganisation der PKK, die Nationale Befreiungsarmee Kurdistans (ARNK), an. Der t�rkische Ministerpr�sident Ecevit begr��te die Erkl�rung �calans, lehnt aber jegliche Verhandlungen mit ihm ab. - Die PKK-K�mpfer begannen am 25.8. mit ihrem Abzug aus der T�rkei. In einer Erkl�rung hei�t es, der eigentlich vom 1.9. an geplante Abzug sei wegen des Erdbebens im Westen des Landes vorverlegt worden. Die PKK fordert die t�rkische Regierung auf, als Gegenleistung �Anstrengungen f�r den von beiden Seiten gew�nschten Frieden zu unternehmen�. Sie erkl�rt zudem einen einseitigen Waffenstillstand mit der Demokratischen Partei Kurdistan (DPK), die sich mit der Patriotischen Union Kurdistans (PUK) die Kontrolle �ber die Autonome Kurdenregion im Norden des Irak teilt. Das Mitglied der PKK-F�hrung Osman �calan, Bruder und m�glicher Nachfolger des PKK-F�hrers Abdullah �calan, erkl�rt am 2.9. 1999 im Namen der PKK-F�hrung den bewaffneten Kampf der PKK f�r beendet. Der R�ckzug der bewaffneten Einheiten aus der T�rkei werde bis Jahresende abgeschlossen sein. Als R�ckzugsgebiete f�r die PKK-K�mpfer gelten der Nahe Osten, der Kaukasus und der Balkan. - Nach einer Ank�ndigung ihres Zentralkomitees will sich die PKK auf einem au�erordentlichen Kongre� in eine Organisation verwandeln, die nur noch mit politischen Mitteln f�r die Rechte der Kurden eintritt.

Reue-Gesetz: Das t�rkische Parlament verabschiedet am 27.8. 1999 ein auf sechs Monate befristetes Amnestiegesetz, das Mitgliedern terroristischer Vereinigungen (dies trifft insbes. auf die PKK zu) Strafminderung f�r den Fall zusagt, da� sie ihre Waffen niederlegen und gest�ndig sind. Es ist aber keine Strafminderung f�r F�hrungskader der PKK vorgesehen, auch nicht f�r PKK-Mitglieder, die wegen terroristischer Straftaten gesucht werden. Anstelle eines Todesurteils kann eine Haftstrafe von mindestens neun Jahren, statt lebenslanger Haft eine Gef�ngnisstrafe von sechs Jahren verh�ngt werden.

Die Kurdische Arbeiterpartei (PKK) in der T�rkei (dort verboten), 1978 von ihrem F�hrer Abdullah �calan gegr�ndet, entstand aus der 1974 in der T�rkei gebildeten marxistischen Studentengruppe Apocus. Organisiert wurde die PKK von einem in Syrien ans�ssigen Zentralkomitee. Ihr Ziel war ein freier sozialistischer Kurdenstaat, der auch Teile des Irak, Iran und Syriens einbezieht. Die linksextremistische PKK (vom orthodoxen Marxismus hat sich �calan inzwischen losgesagt) sieht sich als Vertreterin aller Kurden; gewaltsam schaltete sie rivalisierende Parteien aus. Im August 1984 begann sie Guerillaaktionen gegen den t�rkischen Staat und dessen - auch kurdische - �Handlanger�. Ihr strategisches Ziel war, den S�dosten der T�rkei bis zum Jahr 2000 in einen Volksaufstand zu f�hren. Die PKK verf�gte nach eigenen Angaben �ber 10000 bis 15000 K�mpfer - organisiert in den beiden politisch-milit�rischen Organisationen Nationale Befreiungsfront Kurdistans (ERNK) und Nationale Befreiungsarmee Kurdistans (ARNK). Seit 1993 kam es zu europaweit organisierten Demonstrationen sowie zu Anschl�gen auf t�rkische Einrichtungen. In Deutschland, wo etwa 450000 bis 500000 Kurden leben, wurden die PKK und 35 ihrer Teilorganisationen 1995 verboten. Im September 1996 wies �calan die Mitglieder und Sympathisanten der PKK in Deutschland an, k�nftig auf Gewaltakte zu verzichten, doch gab es weiterhin gewaltt�tige �bergriffe.

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