FWA
2001 Spalte 1082
Ein Gremium mit 62 Mitgliedern (je EU-Staat ein Beauftragter der
Regierung und zwei Vertreter der nationalen Parlamente, ein Beauftragter
des Kommissionspräsidenten und 16 EP-Abgeordnete; EuGH, Europarat
und Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte haben
Beobachterstatus) unter dem Vorsitz des ehemaligen deutschen Präsidenten
Roman Herzog erarbeitet seit 17.12.1999 einen Entwurf einer Charta
der Grundrechte der EU, die die auf Unionsebene geltenden Grundrechte
zusammenfasst. Nach einem Beschluss des ER von Köln (3./4.6.1999)
soll diese die allgemeinen Grundsätze der Europäischen
Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten von
1950, wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen
der Mitgliedstaaten ergeben, und die Grundrechte, die nur den Unionsbürgern
zustehen, enthalten sowie die wirtschaftlichen und sozialen Rechte,
wie sie in der Europäischen Sozialcharta und der Gemeinschaftscharta
der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer enthalten sind, berücksichtigen.
Sanktionen
gegen Österreich
Nach
Absprache mit den Staats- und Regierungschefs der anderen EU-Staaten,
aber ohne Konsultation Österreichs und noch vor Vorliegen eines
Regierungsprogramms droht Portugals Ministerpräsident Antonio
Guterres, der amtierende Vorsitzende des Rats, im Namen von 14 der
15 EU-Regierungen in einer am 31.1.2000 veröffentlichten Erklärung,
Österreich im Fall einer Regierungsbeteiligung der rechtsgerichteten
Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) politisch zu isolieren:
Die übrigen 14 EU-Staaten würden die offiziellen bilateralen
Kontakte mit Vertretern einer solchen Regierung suspendieren, österreichische
Kandidaten für ein Amt in einer internationalen Organisation
nicht mehr unterstützen und die Botschafter Österreichs
nur noch auf technischer Ebene empfangen. Mit der Vereidigung der
neuen österreichischen Koalitionsregierung aus konservativer
Volkspartei (ÖVP) und FPÖ am 4.2. treten die umstrittenen
bilateralen Maßnahmen von 14 EU-Staaten gegen das EU-Land
Österreich in Kraft. Von der politischen Isolierung Österreichs
nicht betroffen ist die Zusammenarbeit in den EU-Institutionen,
jedoch werden wiederholt Ratstagungen davon überschattet. Die
Kommission, die die Besorgnis der 14 von 15 EU-Regierungen teilt,
hatte am 1.2. einstimmig Österreich ermahnt, den EU-Vertrag
einzuhalten; sie werde die Situation beobachten, schränkt aber
ihre Beziehungen zu diesem EU-Staat nicht ein. Der EU-Vertrag sieht
Sanktionen gegen einen Mitgliedstaat nur bei schwerwiegender und
anhaltender Verletzung der Grundsätze der Freiheit, der Demokratie,
der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit
vor. Das EP verurteilt in einer am 3.2. mit 406 gegen 53 Stimmen
bei 60 Enthaltungen verabschiedeten Resolution die »beleidigenden,
rassistischen und fremdenfeindlichen« Äußerungen
des FPÖ-Vorsitzenden Jörg Haider, unterstützt aber
die Position der Kommission. Der Vorstand der Europäischen
Volkspartei (EVP) beschließt am 6.6. auf Empfehlung eines
von ihm eingesetzten dreiköpfigen Beobachtungskomitees die
volle Wiedereingliederung der ÖVP in die EVP. Die ÖVP
hatte am 6.4. ihre aktive Teilnahme an den EVP-Gremien suspendiert;
im Gegenzug hatten EVP-Abgeordnete aus Belgien, Frankreich und Italien
auf ihre Forderung nach Ausschluss der ÖVP aus der EVP verzichtet.
Österreichs Bundespräsident Thomas Klestil, Bundeskanzler
Wolfgang Schüssel, der die Maßnahmen wiederholt
als unfair, undemokratisch und kontraproduktiv bezeichnet, und andere
Regierungsvertreter fordern vergeblich eine sofortige Beendigung
der politischen Ausgrenzung Österreichs. Der von der Regierung
Österreichs am 5.5. beschlossene Aktionsplan zur Aufhebung
der Sanktionen zielt auf Aufklärung und Verteidigung; am 29.10.
oder 26.11. soll in Österreich eine Volksabstimmung zur EU
und zu den Sanktionen stattfinden, falls diese nicht aufgehoben
oder ein Zeitplan für deren Beendigung vorgelegt wird. Der
von 14 EU-Regierungen beauftragte Präsident des Europäischen
Gerichtshofs für Menschenrechte, Luzius Wildhaber (CH),
ernennt Anfang Juli mit Zustimmung Österreichs die drei »Weisen«
- den ehemaligen Präsidenten Finnlands, Martti Ahtisaari, den
früheren spanischen EU-Kommissar Marcelino Oreja und
den deutschen Völkerrechtler Jochen Abraham Frowein
–, die einen Bericht über die Haltung der österreichischen
Regierung in Bezug auf die gemeinsamen europäischen Werte,
insbesondere die Rechte von Minderheiten, Flüchtlingen und
Einwanderern, sowie über Entwicklung und politische Natur der
FPÖ erstellen sollen; auf dessen Grundlage werden die 14 EU-Staaten
ihre bilateralen Beziehungen zu Österreich überprüfen.
Die Sanktionen bleiben vorerst in Kraft.
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