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Wirtschaft: Energie Die Liberalisierung des Strommarktes

FWA 2001 Spalte 1211f

Die letzten Jahre waren in Deutschland und in der ganzen EU im Bereich der Versorgung durch die Abschaffung von Monopolen, den Rückzug des Staates und die Privatisierung und Deregulierung von Diensten gekennzeichnet, die vorher direkt vom Staat erbracht (z.B. Post, Telefon, Bahn) oder zumindest vom Staat reguliert worden waren (z.B. im öffentlichen Nahverkehr, bei Strom und Gas). Seit 1998 wurde von der Welle der Deregulierung und Liberalisierung auch die Elektrizität ergriffen.

Ausgangspunkt war eine Richtlinie der EU vom 19.7. 1997, die ihre Mitgliedsstaaten zur schrittweisen Öffnung der Strommärkte verpflichtete. Diese Richtlinie wurde in Deutschland durch das Energiewirtschaftsgesetz umgesetzt, das am 29.4. 1998 in Kraft trat und eine fast völlige Liberalisierung des Marktes für elektrischen Strom mit sich brachte. Andere EU-Länder, wie Frankreich, Italien, Österreich und die Beneluxländer, setzten die Richtlinie bisher erst teilweise um, während Großbritannien, Schweden und Finnland neben Deutschland inzwischen eine 100%ige Freigabe der Strommärkte eingeführt haben. In Deutschland brachte die Gesetzesänderung, deren Auswirkungen vor allem ab Mitte 1999 spürbar wurden, zwei wichtige Neuerungen, die die Stromwirtschaft grundlegend veränderten. Die Versorgungsunternehmen verloren die vorher bestehenden Gebietsmonopole, d.h. das Recht (und die Pflicht), in ihrem Konzessionsgebiet allein Strom zu staatlich kontrollierten Preisen anzubieten. Sie müssen sich nun dem Wettbewerb anderer öffentlicher (z.B. Stadtwerke) oder privater Stromlieferanten stellen, dürfen dafür aber ihre Preise frei kalkulieren. Auf der anderen Seite wurden aus den privaten oder gewerblichen Stromverbrauchern, die bisher keine Wahl hatten, sondern den Strom vom zuständigen Gebietsmonopolisten zu dessen Bedingungen abnehmen mussten, echte Kunden, die sich ihren Lieferanten im gemeinsamen europäischen Elektrizitätsmarkt frei wählen können.

Das erste Ergebnis dieser neuen Konkurrenzverhältnisse auf dem Energiemarkt waren stark zurückgehende Preise. Sie sanken bereits 1998 für industrielle Großkunden; 1999 führte der Konkurrenzdruck durch neu auf dem Markt erscheinende Stromlieferanten zu massiven Preissenkungen auch für Privatkunden. Im Übrigen sind die Lieferanten in der Regel nicht gleichzeitig die Erzeuger des Stroms, sondern sie fungieren als Großhändler, die elektrischen Strom einkaufen und an die Endverbraucher abgeben. Leidtragende der gegenwärtigen Entwicklung sind vor allem die Stadtwerke, die bisher in ihrem Versorgungsgebiet ein Monopol besaßen, den Strom mit erheblichem Gewinn verkauften und mit diesem Gewinn andere Sparten subventionierten, insbesondere die defizitären öffentlichen Verkehrsmittel. Hier werden in Zukunft wohl in vielen Städten Preissenkungen beim Strom zu Preiserhöhungen bei Straßenbahnen und Bussen führen. Ein Problem des freien Strommarktes ist bisher noch nicht überall befriedigend gelöst, nämlich das der Durchleitung von »fremdem« Strom durch die Leitungen des bisherigen Monopolisten, dem das Übertragungsnetz in seinem Gebiet gehört. Hinzu kommt das Problem, dass Strom kaum speicherbar ist, d.h., dass er »just in time«, also im Moment des Verbrauchs erzeugt und transportiert werden muss. Hier können sich nach den bisherigen Erfahrungen Engpässe in schwachen Netzen ergeben, durch die große Strommengen hindurch transportiert werden sollen. Der Stromtransport selbst ist geregelt: Es besteht ein Rechtsanspruch auf Durchleitung durch fremde Netze, wobei ein Entgelt auf privatwirtschaftlicher Basis ausgehandelt werden muss. Inzwischen wurde hierfür ein Rahmenvertrag zwischen den beteiligten Verbänden der Stromerzeuger und -lieferanten, die sog. Verbändevereinbarung II vom 13.12.1999, ausgehandelt, in der übrigens nicht mehr von »Stromdurchleitung«, sondern von »Netznutzung« die Rede ist.

Aus ökologischer Sicht ist der freie Strommarkt zwiespältig zu sehen. Einerseits kann die beträchtliche Verbilligung zu einem Nachlassen von Einsparbemühungen, eventuell sogar zu einem Mehrverbrauch an Strom führen. Andererseits hat nun jeder Kunde die Möglichkeit, Strom seines bevorzugten Erzeugers zu beziehen. Tatsächlich gibt es inzwischen auch mehrere Anbieter, die -zu höheren Preisen - »grünen Strom« liefern, d.h. Strom, der vollständig oder zu garantierten Mindestanteilen aus erneuerbaren Energiequellen stammt.

Im Bereich der Stromerzeugung wie des Vertriebs hat die Liberalisierung inzwischen zu einer Welle von Unternehmensfusionen geführt, wie sie in anderen Industriebranchen seit längerem üblich sind. Die Ziele sind in der Regel Kosteneinsparungen durch Synergieeffekte. Derartige Unternehmenszusammenschlüsse und -kooperationen fanden 1999/2000 zunehmend auch grenzüberschreitend innerhalb der EU statt.


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Aktuelle Informationen zu diesem und allen übrigen Themen des ARCHIVS finden Sie im Fischer Weltalmanach 2002 und im Digitalen Fischer Weltalmanach 2002.