Aus
ökonomischer Sicht versteht man unter Globalisierung
die Zunahme internationaler Wirtschaftsbeziehungen und
-verflechtungen und das Zusammenwachsen von Märkten
für Güter und Dienstleistungen über die
Grenzen einzelner Staaten
hinaus, wobei internationale Kapitalströme und die
Diffusion neuer Technologien eine große Rolle spielen.
Globalisierung bedeutet
also Zunahme der Intensität und der Reichweite grenzüberschreitender
wirtschaftlicher Austauschbeziehungen, insofern also auch
Intensivierung des Wettbewerbs durch Vergrößerung
der Märkte bis hin zum Entstehen globaler Märkte,
auf deren Funktionieren die Nationalstaaten zunehmend
weniger Einfluss ausüben können. Neben der seit
langem intensivierten Integration der »Output-Märkte«
(Welthandel mit fertigen Industrieprodukten) kommt es
zu einer verstärkten Integration der »Input-Märkte«
und zu einer grenzüberschreitenden Organisation der
Produktion und der produktionsnahen Dienstleistungen.
Die Globalisierung (die auch soziale,
ökologische, kulturelle u.a. Aspekte beinhaltet)
wurde durch die neuen Kommunikationsmöglichkeiten
(siehe Weltalmanach 2003, Kommunikation
und Medien) sehr gefördert, vor allem aber
durch
politische Entscheidungen ermöglicht (z.B. politische
Wende in Osteuropa, Freihandel, ungehinderter grenzüberschreitender
Kapitalverkehr, Abbau von Grenzkontrollen, Deregulierung
von Wirtschaftsabläufen, Privatisierung ehemals
staatseigener
Unternehmen). Ursachen und zugleich Auswirkungen zunehmender
Globalisierung sind z.B. Direktinvestitionen von Firmen
im
Ausland, die Bildung multinationaler Unternehmen, Zulieferbeziehungen
über Staatsgrenzen hinweg (sog. »global sourcing«),
Finanztransaktionen, Kreditnahme bzw. -vergabe und Risikoversicherungen
mit Hilfe ausländischer Geschäftspartner.
Auswirkungen der Globalisierung
Zu den charakteristischen Auswirkungen
der Globalisierung der Wirtschaft gehört die Zunahme
des Welthandels, die wesentlich
schneller verläuft als das Wachstum der Weltwirtschaft
insgesamt. Daher hat sich in den letzten 30 Jahren der
Anteil des weltweiten
Warenexports an der Weltgüterproduktion von ca.
10 auf über 25% erhöht. In ähnlicher
Größenordnung nahm auch der Anteil der international
gehandelten Dienstleistungen zu (z.B. Versicherungen,
Kreditgewährung).
Voraussetzungen der Globalisierung
Wichtige Voraussetzungen für
die rasch fortschreitende Globalisierung der Wirtschaft
waren die erfolgreichen Bemühungen um einen freien
Welthandel durch Organisationen wie OECD, GATT und
neuerdings WTO.
Ferner ist wichtig, dass zwei Staatengruppen sich aktiv
an der Weltwirtschaft beteiligen, die noch vor drei
Jahrzehnten nur eine marginale Rolle im Welthandel spielten:
die neu industrialisierten Staaten Ost- und Südostasiens
und neuerdings auch Lateinamerikas sowie die Transformationsländer
Osteuropas und der GUS. Besonders die Eingliederung
des ehemaligen Ostblocks in das System der freien Weltwirtschaft
wirkte stark stimulierend in Richtung auf zunehmende
internationale Verflechtungen.
Neben den veränderten politischen
Rahmenbedingungen kommt dem technischen Fortschritt
im Bereich Verkehr und
Telekommunikation eine überragende Bedeutung für
das Fortschreiten der Globalisierung zu. Die Personen-
und
Güterverkehrsverbindungen in alle Regionen der
Erde waren noch nie so schnell und so kostengünstig
wie heute. Der Gebrauch
des genormten Containers erlaubt es beispielsweise,
Stückgüter ohne zeitraubendes und kostspieliges
Umpacken und Umladen
direkt über eine Kette von mehreren Verkehrsmitteln
vom Produzenten zum Einzelhändler oder Endverbraucher
zu versenden. Die technischen Möglichkeiten weltweiter
billiger Telefon- und Faxverbindungen und Computervernetzungen
(Internet, E-Mail) lassen ein Überschreiten beliebiger
Distanzen und nationaler wie kontinentaler Grenzen immer
selbstverständlicher werden und erlauben es z.B.,
die Produktion einer Ware in Ostasien vom Schreibtisch
in Westeuropa aus ohne Zeitverzögerung zu planen
und zu beaufsichtigen oder den Text und das Layout eines
Buches in Deutschland zu entwerfen, die Daten per E-Mail
nach Indien zu
schicken und das Buch dort drucken und binden zu lassen.
Diese Entwicklungen und Möglichkeiten
führen zu wachsender internationaler Standortkonkurrenz.
Bei verzögerter Anpassung an die neuen Bedingungen
besteht für die traditionellen Industrieländer
Westeuropas die Gefahr, dass mehr und mehr Arbeitsplätze
aus den »Hochlohnländern« in weitaus
billiger produzierende Länder verlagert werden
(»Export von Arbeitsplätzen«), ohne
dass vorher ein adäquater Ersatz in Form neuer
innovativer Branchen und Technologien entwickelt worden
ist. Angesichts weiter zunehmender internationaler Arbeitsteilung
wird die Zukunft der westeuropäischen Wirtschaft
vor allem in der Betonung »intelligenter«,
forschungsintensiver Güterproduktion und entsprechender
Dienstleistungsangebote liegen. Ungelernte oder schlecht
ausgebildete Arbeitskräfte werden in vielen Branchen
in Zukunft nur noch gering bezahlte oder gar keine Arbeitsplätze
mehr finden, da derartige Tätigkeiten nach Möglichkeit
»wegrationalisiert« oder in »Billiglohnländer«
ausgelagert werden.
Globalisierung der Finanzmärkte
Die Globalisierung der Wirtschaft
hat in besonders starkem Maße auch die Finanzmärkte
erfasst. Sie zeigt sich u.a. in stark angeschwollenen
internationalen Kapitalströmen und Finanztransaktionen
als Folge der Liberalisierung der Finanzmärkte,
der zunehmenden Bedeutung multinationaler Unternehmen
und nicht zuletzt der Entwicklung der Informationstechnologie,
die diese gewaltigen Transaktionen erst ermöglicht.
Nach Angaben der Deutschen Bundesbank beliefen sich
die weltweit erfassten Kapitalströme 2000 auf 4000
Mrd. US-$. Damit haben sie sich seit 1975 verdreißigfacht,
während das Welthandelsvolumen in dieser Zeit um
320% und das zusammengefasste Bruttoinlandsprodukt aller
Länder nur um 14% angestiegen sind. Ähnlich
stark nahm die globale Verflechtung der Wirtschaft zu,
abzulesen an der Summe der Direktinvestitionen. Weltweit
operieren über 60000 transnationale Unternehmen
mit über 800000 Auslandsniederlassungen; sie bestreiten
etwa zwei Drittel des Welthandels (nach Bundesbank).
Die Diskussion um die Globalisierung
Die Ursachen und Auswirkungen
der Globalisierung lassen sich wissenschaftlich
analysieren. Höchst strittig ist dagegen die Bewertung.
Sie reicht von euphorischer Zustimmung bis zu aggressiver
Ablehnung. Es ist eine empirisch nachweisbare Tatsache,
dass freier Handel und Kapitalverkehr den reichen Nationen
und ihrer Wirtschaft nützt. Die Streitfrage ist,
ob die Globalisierung mittel- bis längerfristig
auch für die armen Länder und ihre Bewohner
von Vorteil ist oder ob die Kluft zwischen Arm und Reich
nicht immer größer wird.
Der Meinungsaustausch hierüber
wird nicht immer rational ausgetragen und ist inzwischen
stark ideologisiert. Jede Weltwirtschaftskonferenz zieht
inzwischen »Globalisierungsgegner« an (z.B.
vertreten durch die Organisation »ATTAC«),
die versuchen, gegenüber den großen Wirtschaftsmächten
und den Vertretern der Weltbank, des Internationalen
Währungsfonds (IWF)
usw. ihre Meinung zu propagieren, dass Globalisierung
eine Art von Neokolonialismus sei und der Ausbeutung
der armen Völker diene. Aber auch unter Wissenschaftlern
bestehen diametral entgegengesetzte Meinungen. So beschreibt
der Schwede Tomas Larsson (»The Race to the Top.
The Real Story of Globalization«) die Globalisierung
als »die große Chance der Armen«,
die von freier Marktwirtschaft und ungehindertem Welthandel
nur profitieren können. Demgegenüber kritisiert
der US-amerikanische Wirtschafts-Nobelpreisträger
Joseph Stiglitz (»Die Schatten der Globalisierung«)
mit scharfen Worten vor allem die negativen Auswirkungen
des allzu rigorosen Vorgehens der internationalen Finanzinstitute,
die Entwicklungsländer in den Bankrott trieben.
Seine Forderung lautet: »Wir müssen die Globalisierung
reformieren«. Mit anderen Worten: Nicht die Globalisierung
- die im übrigen wohl kaum rückgängig
zu machen ist - trägt die Schuld an weltweiten
wirtschaftlichen Fehlentwicklungen, sondern die Art
und Weise, wie etwa die USA mit ihrer Handelspolitik
oder der Internationale Währungsfond IWF mit seinen
währungspolitischen Maßnahmen die Globalisierung
für ihre Zwecke und zu ihrem Vorteil nutzen.
Wenn also »ATTAC« eine
»demokratische Kontrolle der Finanzmärkte«
fordert, geht es im Grunde nicht gegen die Globalisierung
an sich (wie der pauschalisierende Begriff »Globalisierungsgegner«
vermuten lässt), sondern es geht um eine Kritik
an den bisherigen Auswirkungen des Globalisierungsprozesses,
soweit er sich nahezu ausschließlich an den Wirtschaftsinteressen
der reichen Staaten und multinationaler Unternehmen
orientiert. Als Ergebnis der Globalisierung sollte also
nicht die Gewinnmaximierung des internationalen Finanzkapitals
im Vordergrund stehen, sondern die Demokratisierung
der Weltwirtschaft. Obwohl einzelne wirtschaftspolitische
Maßnahmen der Regierung Bush z.Z. eher die negativen
Befürchtungen zur Globalisierung zu bestätigen
scheinen (z.B. Behinderungen von Einfuhren durch Schutzzölle
und zugleich Forderung nach ungehinderten Exporten amerikanischer
Waren), sind doch die meisten Wirtschaftswissenschaftler
optimistisch. Sie sehen berechtigte Chancen, dass sich
mittel- bis längerfristig die Hoffnungen auf Entwicklungsvorteile
durch die Globalisierung auch und gerade für ärmere
Länder erfüllen werden.
Dieser Text erschien als Sonderbeitrag
im Kapitel Wirtschaft
des Weltalmanach 2003
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